Diedenberger Heimatgeschichtsverein

Der Galgenkippel von Klaus Ernst

Der Galgenkippel in Diedenbergen.

Der Galgenkippel in Diedenbergen, in früherer Zeit „Die Kanzel“ genannt, ist einer von über 20 Grabhügeln auf dieser Anhöhe aus der Zeit um 800 Jahre (Hallstattzeit) vor unserer Zeitrechnung. Jahrhunderte bzw. Jahrtausende lang war besagtes Gebiet ohne Wald, lediglich niedriges Gestrüpp und Brombeerhecken waren für den Standort bestimmend und typisch, bevor die Waldbäume, die ersten wurden Anfang des 19. Jahrhunderts gepflanzt, die Sicht versperrten, hatte man von hier aus einen grandiosen Ausblick.

Dieser wird nachfolgend von dem schwäbischen Schriftsteller Bertold Auerbach; Auszug aus „Tagebuch aus Weilbach“, erschienen 1843, beschrieben. Auerbach weilte seinerzeit einige Tage in Weilbach zur Kur an der dortigen Schwefelquelle und führte über seine Erlebnisse ein Tagebuch. Bei seinen Rundgängen kam er auch nach Diedenbergen:

"Schon auf der „Kanzel“, einem Vorhügel des Taunus bei Diedenbergen, hat man eine unermesslich reiche Fernsicht, links ganz nahe der Taunus mit seinen weichen wellenformen, hier die weiße hellstrahlende Hofheimer Waldkapelle und weiter hinüber die verfallenen Burgen von Königstein und Falkenstein, vor uns die weite ebene des Mainthales mit seinen zahllosen Dörfern, dort ganz nahe Frankfurt und dort Darmstadt und hinter ihm die liebliche Kette der Bergstraße; plötzlich erschallt weithin ein Pfiff, da rollen die Wagen auf dem Eisenwege dahin, es scheint ein großes Ungeheuer, das sich, von unsichtbarer Kraft getrieben dahinwälzt, in dem hellen Sonnenschein ist sein Dampf bemerkbar. Wenden wir unseren Blick rechts, so sehen wir hinaus bis gen Worms und dann von Mainz durch einen großen Theil des herrlichen Rheingaus. Hier oben verschwinden die nassauischen, die hessischen, die frankfurtischen Grenzpfähle, die an den Straßen bald da, bald dort ihre bunten Farben präsentieren.

Ich konnte diese Fülle und Pracht nicht überschauen, ohne in Gedanken zu sprechen:

Sei einig und frei, du, mein gesegnetes deutsches Vaterland! – Und wenn dann allmälig die Sonne niedersinkt und alles überflutet, da erhebt sich die Seele zu Gedanken, für die es keine Worte gibt. Ich werde auf diesen Anhöhen verlebten Stunden nie vergessen.

Einer meiner liebsten Spaziergänge ist der nach Diedenbergen, das nur eine halbe Stunde von hier entfernt ist; es heimelt mich dort an, als wäre ich zu Hause in Schwaben; der Menschenschlag hat auch ganz den selben Charakter, gedrungene, stämmige Gestalten mit hellblauen Augen.

Diedenbergen liegt abseits der Landstraße und gehört zu dem sogenannten „blauen Ländchen“, deshalb so benannt, weil die blaue Farbe fast ausschließlich in der Volkstracht herrscht. Unter den Frauen hat sich hier, mit sehr geringen Ausnahmen eine Volkstracht erhalten, die sich im Schnitte ebenfalls der schwäbischen nähert; das Haar ist nicht wie im Mainthale gescheitelt, sondern schlicht zurückgekämmt und hinten in einer Lockenwelle aufgebunden, eine hellblaue helmartige Haube ist darauf gesetzt; ein schwarzsammetnes Mieder nach vorne in der Schniepform offen, mit schwarzen Bändern über dem weißen Vortuche, ein dunkelblauer faltenreiche bis ans Knie reichender Rock, Strümpfe mit blauen Zwickeln und ausgeschnittene Schuhe bilden die Tracht derer aus dem blauen Ländchen.

Und wie in der Tracht, so unterscheiden sich auch in Gebräuchen die Diedenberger von den näheren Anwohnern des Mainthales. Das blaue Ländchen ist durchweg protestantisch, es gehörte ehemals zu Hessen, der hiesige Teil des Mainthales aber zu Kurmainz.

Diese örtlichen und durch äußere geschichtliche Thatsachen herbeigeführten Konfessionsunterschiede, die sich allenthalben vorfinden, sollten den Menschen stets ins Gedächtnis rufen: duldet diese Verschiedenheiten nicht nur, vergebt und vergeßt sie nicht nur, sondern erkennet: wie eure eigenen Überzeugungen, die ihr für selbstgewonnene erachtet, von historischen Zufälligkeiten abhängig waren, in einer bestimmtem Konfession geboren, bildet sich vielfach euer Geist darnach, und diese Konfession habt ihr euch nicht selbst, haben sich oft eure Väter nicht mal gegeben.
Der Grundsatz: cuius regio ejus religio (Wessen Land – dessen Religion), hat oft das Schicksal ganzer Länder auf Generationen hinaus bestimmt.
Mit Hartherzigkeit und Fanatismus, oder mit stolzem Überheben verficht nun der eine seine Dogmatik und verfolgt die andere, und es hätte nur einer kleinen Geschichtlichen Wendung bedurft, so stammte er auf Generationen zurück und anders Glauben ab, und er würde vielleicht diesen anderen Glauben mit gleicher Ausschließlichkeit als den allein richtigen geltend machen. – Die Religion, die Befreiung des Geistes aus seinen endlichen Banden steht über allen Kirchen und ist nicht in ihren Satzungen festgebannt."

Gerade seine Gedanken beim verweilen auf unserem „Galgenkippel“ sind immer noch von aktueller Bedeutung. Es ist heute nicht mehr nachvollziehbar, was die Obrigkeit damals veranlasste das gesamte Gebiet aufzuforsten und nachfolgenden Generationen diesen Ausblick zu verwehren. Noch bis in das 20. Jahrhundert war die Kanzel beliebter Anziehungspunkt, der zudem auch auf Ansichtskarten abgebildet war.

Klaus Ernst, Diedenbergen, den 15.03.2015

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